Lachen über die Klischee-Schweiz. In der kleinen Gemeinde Sauwilen ist alles zum Besten bestellt. So sieht es aus, aber so ist es in Wirklichkeit nicht. Ein Blick hinter die Kulissen belehrt die Leserschaft eines Besseren. Sauwilen ist ein Fallbeispiel für bestimmte Zustände in diesem Land, stellt Aurel Schmidt in seinem neuen "Seitenwechsel" fest. (Copyright: OnlineReport, 26.5.08)
Aurel Schmidt – Seitenwechsel
Seilschaften in Sauwilen
Sauwilen* liegt im schweizerischen Hinterland, ein kleines Städtchen, das man sich putziger nicht vorstellen kann. Seine Marktgasse und das alte Stadttor ergeben ein einzigartiges Postkartenmotiv.
Hier ist die Welt noch in Ordnung. Niemand kommt auf die Idee, an den Verhältnissen etwas zu
ändern. Zwischen Behörden und Bevölkerung herrscht das ungetrübteste Einverständnis.
Die Gemeinde hat grosse Pläne. Sie will wachsen, neue Einwohner anziehen und zum Zentrum einer grossen, aufstrebenden Region aufsteigen. Denn gross ist gut, aber grösser besser. Nur klein ist schlecht. Zu diesem Zweck haben die Gemeindebehörden schon vor Jahren grosseLandreserven angelegt, die jetzt überbaut werden sollen. Zu diesem Zweck wurde der hochgeschätzte Architekt Bärni Baumann* beauftragt, einen Gestaltungsplan auszuarbeiten.
Das Ergebnis stiess bei der Gemeinde auf einhellige Zustimmung. Unerwarteterweise wagte es jedoch der ortsferne kantonale Heimatschutz, Einspruch zu erheben. Kritisiert wurde die Architektur, die den im Planungs- und Baugesetz verlangten "hohen Qualitätsstandards" nicht genüge, was mit der Tatsache in Zusammenhang gebracht wurde, dass auf einen Ideenwettbewerb verzichtet worden sei.
Die Gemeinde liess eine Stellungnahme zur Einsprache ausarbeiten und beauftragte dazu den
Architekten selbst, der in seiner Entgegnung an den Gemeinderat die gute, moderne Bauqualität (also seine eigene) lobte und bemerkte, dass Ideenwettbewerbe in Sauwilen "nicht üblich" seien.
Der Gemeindeverwalter Chrigu Hollerer* schloss sich dieser Argumentation vollumfänglich an. Er fand den Gestaltungsplan "sehr gut" und zitierte dazu ein Gutachten der Baukommission, die am Gestaltungsplan nichts auszusetzen hatte. Der Zufall wollte es, dass der Gemeindeverwalter, der das Gutachten zu vertreten hatte, in Personalunion auch Präsident der Baukommission war. Ein weiterer Zufall will es, dass Gemeindeverwalter Hollerer und Architekt Baumann vor 30 Jahren zusammen die Schulbank gedrückt haben. Der Unternehmer, der den Bebauungsauftrag ausführen wird, ist übrigens ein Duz-Freund von Baumann.
Eine Opposition in Sauwilen gibt es selbstverständlich nicht. Die Sauwiler Geschäftsleute und das
Kleingewerbe hüten sich, den Behörden zu widersprechen. Sie wissen, was sie ihren Umsätzen schuldig sind und machen lieber die Faust im Sack.
In Sauwilen kennen sich alle. Gemeindeverwalter, die Präsidenten der Kommissionen, die
Lokalprominenz und so weiter jassen zusammen im "Ochsen", haben zusammen studiert und verkehren freundschaftlich untereinander. Auch privat. Gemeinsame Interessen werden erfolgreich durchgesetzt.
Die Amtsstatthalterin, die im Konfliktfall die Gemeinde im Auftrag des Kantons zu kontrollieren hat, ist durch einen ihrer Verwandten mit dem Architekten verbunden. In Wirklichkeit ist alles noch viel verwickelter. Aber auch so bleibt der Fall exemplarisch. Man bezeichnet Verhältnisse dieser Art heute als "Kuchen" oder auch als "Seilschaften".
In Sauwilen, und nicht nur dort, ist die Demokratie nach bewährtem Muster fest in Hand von ein paar kaltblütigen, besonnenen Männern. Alles geschieht stets nur zum Wohl der Gemeinde. Sauwilen ist überall.
* Namen von der Redaktion geändert
© OnlineReport Basel 26. Mai 2008
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Aurel Schmidt, war bis Mai 2002 Redaktor der "Basler Zeitung" (vorher "National-Zeitung"). Er war mitverantwortlich für das jeden Samstag erscheinende "Basler Magazin" und verfasste zahlreiche philosophische Essays, Reise-Reportagen, Kommentare und Kolumnen. Schmidt, der heute als Schriftsteller und freier Publizist in Basel lebt, machte sich auch als Autor mehrerer Bücher einen Namen: "Der Fremde bin ich selber" (1982), "Die Alpen - schleichende Zerstörung eines Mythos" (1990), "Wildnis mit Notausgang. Eine Expedition" (1994), "Von Raum zu Raum. Versuch über das Reisen" (1998). Zuletzt erschienen: "Lederstrumpf in der Schweiz. James Fenimore Cooper und die Idee der Demokratie in Europa und Amerika" (2002) und "Gehen -der glücklichste Mensch auf Erden" (2006).
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